„Haallo. I – – ick wwwollte mal nnnach einem FiFiFiFilm ffffragen.“ – Pseudostottern auf Berlinerisch!

In-Vivo-Teil 3 ist nun beendet und damit auch ein spannendes Selbstexperiment, welches uns viele Wochen durch die Uni und den Alltag begleitete!

Von begeisterten Hundebesitzern bis zu kleinen Seifenblasen-Anbetern, von „Hey, schöne Jacke!“ bis zu „Eeeeeh Macarena“: Wir nahmen die Herausforderung und zogen die Blicke auf uns. Dabei lernten wir verschiedenste Menschen und unsere Hauptstadt mal aus einem ganz anderen Blickwinkel kennen. Noch viel spannender war es jedoch, was wir dabei über uns selbst lernten!

Von unserem wohl wichtigsten Teil des Invivo-Trainings – dem Pseudostottern – erzählen wir euch nun.

 

1) AK berichtet: Eis in der Eisdiele kaufen und die leckerste Sorte erfragen

Was ist die Antwort auf Sommer, Sonnenschein und Hitze? Eis essen natürlich! Daher war ich ganz besonders begeistert, diese „Aufgabe“ endlich meistern zu dürfen. Selbstverständlich stand das Pseudostottern die ganze Zeit im Vordergrund – man ist ja schließlich nicht zum Vergnügen da ;-).

Anfangs noch mit einem guten Gefühl aus dem Haus gegangen, fühlte ich mich plötzlich unwohler, je näher wir dem auserwählten Eisladen am Ostbahnhof kamen. Alle möglichen Fragen wirrten in meinem Kopf herum: Wie mache ich das nun eigentlich? Soll ich gleich das erste Wort stottern oder erst später im Satz? Wie viel soll ich eigentlich stottern? Ok ganz ruhig, AK, stoppte ich mich, denn es soll ja darum gehen, locker und möglichst ohne Anspannung zu stottern. Denn wir wollen ja später gute Vorbilder für unsere stotternden Patienten sein!

Mit dem gedanklichen Fazit, einfach spontan zu sein und man macht das ja, um zu lernen, ging ich zum Eisstand, begrüßte den Verkäufer und fragte ihn stotternderweise, welche Eissorte wohl die Leckerste sei. Während ich unter anderem in der Mitte des Satzes blockierte (und es ist gar nicht leicht das mehrere Sekunden auszuhalten!) schaute mich der Verkäufer ganz genau an, doch blieb freundlich und wartete, bis ich meine Frage zu Ende gestellt habe. Er erzählte knapp, dass viele Kunden die Sorte „Amarena-Kirsch“ mögen. Ein eingehendes Gespräch entwickelte sich daraus nicht. Im Verlauf der Woche kamen wir bei weiteren Eisverkäufern zu ähnlichen Ergebnissen: Sie blieben höflich, freundlich und antworteten mal mehr und mal weniger ausführlich. Als generell hilfreich empfand ich, dass ich immer die einzige am Eisstand war und dadurch keinen Druck hatte, mich zu beeilen. Dass man nur eine vorher festgelegte – recht kurze – Frage stellen musste, machte diese Aufgabe zu Recht zur von uns am leichtesten eingestuften Aufgabe zum In-Vivo-Pseudostottertraining.

Und das Beste vom Ganzen: Am Ende gab es immer Eis als Belohnung! 🙂

 

2) Aus SBs Sicht: Bei einem Online-Versand anrufen und nach der Verfügbarkeit eines Artikels fragen

Da ich ehrlich gesagt eine begeisterte Onlineshopperin bin, fand ich die Übung für mich wie gemacht. Selbst das Wissen darum, gleich pseudostottern zu müssen, bereitete mir kein wirklich unbehagliches Gefühl. Denn wenn ich auch an dieser Stelle ehrlich bin, fand ich es als Vorteil „nur“ anrufen zu müssen und nicht persönlich (von Angesicht zu Angesicht) nach der Verfügbarkeit des Artikels zu fragen, den ich so gern haben wollte. Ich hatte beim ersten Anruf mir nicht wirklich Gedanken darum gemacht, „wie“ ich pseudostottern wollte. Deswegen bestand mein „spontanes“ pseudostottern nur aus einem Kernsymptom und zwar der Dehnung von Lauten. Leider war ich beim ersten und auch beim zweiten Anruf noch sehr auf das Pseudostottern konzentriert, so dass ich mich kaum adäquat auf mein telefonisches Gegenüber konzentrieren konnte. Die Gespräche fielen demnach sehr kurz aus.

Bei weiteren Versuchen machte ich mir nun ein paar Gesprächsnotizen vorab sowie Gedanken zu den Kernsymptomen und auch hörbaren Begleitsymptomen (z. B. tiefe Inspiration). Viele meiner Gesprächspartner (ob männlich oder weiblich) waren sehr geduldig und gaben mir gern Auskunft. Bei meinen ersten Anrufen waren die Gespräche sehr kurz gehalten, wobei ich sagen würde, dass es eher an mir lag. Ich hatte keine weiterführenden Fragen gestellt, sondern die Antwort auf meine Ausgangsfrage mit einem kurzen „Ok, Danke.“ hingenommen und mich dann auch so gut wie verabschiedet. Aus dem Grunde habe ich mir für die darauffolgenden Anrufe einige Fragen versucht vorzuformulieren. Es war so gut wie keiner meiner Auskunftspersonen unfreundlich zu mir. Sie ließen mich ausreden und haben mich nicht unterbrochen.

 

3) Wie SB die Aufgabe empfand: In der Touristeninformation fragen, wo die Berliner Mauer genau verlief

Vor dieser Aufgabe hatte ich doch leichten Bammel. Denn ich hatte mir im Vorhinein schon vorgestellt, dass am Informationsstand eine riesen große Traube an wissbegierigen Menschen steht und dann hellhörig wird, wenn ich anfange pseudozustottern. Ich war mir natürlich auch dessen bewusst, dass viele Touristen eventuell kein einziges Wort meinerseits verstehen würden, aber nichts desto trotz hören sie ja, dass mein Redefluss von zahlreichen nicht normgerechten Unterbrechen gekennzeichnet sind.

Aber es hilft ja bekanntlich nichts, sich im Voraus die größten Katastrophen auszumalen. Meist läuft es ja eh anders ab (positiv) als man es sich gedacht hat. 🙂 So bin ich dann, dieses Mal hoffentlich von Anfang an mit gut vorbereiteten Fragen zur Berliner Mauer, zur Touristeninformation gefahren. Es war zu dem Zeitpunkt nicht soooo viel los, aber es waren zumindest einige Familien bzw. Paare da. Ich habe mich dann ganz brav in die Schlange eingereiht und als ich dann an der Reihe war, merkte ich doch wie mein Puls nach oben schnellte. Aber nachdem ich sah, dass es meinen Gegenüber und auch Umstehende nicht wirklich interessierte, wie ich sprach, sank meine Herzfrequenz wieder auf ein gesundes Maß. Die Dame am Infostand war sehr freundlich und hat mich mit umfangreichen Informationen rund um die Berliner Mauer versorgt. Da die Möglichkeit bestand, dass mich die Dame wiedererkennt, wenn ich in einer halben Stunde mich noch einmal anstelle, um pseudostotternd Informationen zu erhaschen, sind wir an einem anderen Tag nochmals dorthin gefahren, um ein weiteres Mal pseudostotternd nach Informationen mit anderen Begleitsymptomen (beim ersten Mal: starkes Augenzwinkern und beim zweiten Mal: vermeiden des Augenkontaktes -> nach links oder rechts schauen) zu fragen. Auch dieses Mal ließ sich die Person am Informationsstand nicht aus der Ruhe bringen und wartete jedes Mal geduldig bis ich meine Fragen zu Ende gestellt hatte. Es waren alle durchweg freundlich und hilfsbereit. Auch weitere anwesende Gruppen oder Personen waren nicht wirklich an der neben ihnen oder vor ihnen stehenden stotternden Person interessiert. 🙂

 

4) Wir brainstormen gemeinsam (AK, SB, AR): Die Berlin-Umfrage

Für unsere qualitative Umfrage zum „Wissen über den Berliner Fernsehturm“ haben wir, natürlich unter Berücksichtigung aller möglichen Störvariablen, ganze drei „statistisch wertvolle“ Fragen vorbereitet:

  1. Sind Sie Berliner?
  2. Wissen Sie wann der Berliner Fernsehturm erbaut wurde?
  3. Wie hoch ist der Fernsehturm?

Aus unserer Gesamtpopulation (n=12) haben sich 3 Berliner als fachkundig erwiesen, die die Wissensfragen tatsächlich korrekt beantworten konnten.

  • Der Fernsehturm wurde 1969 erbaut
  • Die Gesamthöhe beträgt: ca. 360m

Herzlichen Glückwunsch.

Die eigentliche Aufgabe bestand aber nun darin, die Leute stotternd zu befragen. Grundvoraussetzung dafür: Zeit. Starke Symptome lassen sich nun mal nicht in einem Wimpernschlag ausführen. In einer hektischen Stadt wie Berlin denkt man eigentlich, dass man hier wohl kaum auf Verständnis stoßen wird. Erwartet hatten wir Aussagen wie: „Komm do ma zum Punkt!“ oder „Nee, ick hab jetze keene Zeit mehr!“. Aber siehe da: Die Leute strahlen tatsächlich eine unerwartete Ruhe aus. Manchen sah man es zwar an, dass sie gern bei dem ein oder anderen Block rettend dazwischenfunken wollten, aber tatsächlich haben alle Probanden uns Stotterer ausreden lassen. Danke, Berlin!

 

5) ARs Gedanken: Frage in einem Elektrofachhandel nach einem Film, dessen Titel dir nicht einfällt

„ – – – – Haallo. I – – ick wwwollte mal nnnach einem FiFiFiFilm ffffragen.“

Wie man deutlich lesen kann, bedrückten mich starke initiale Schwierigkeiten. Vor lauter Aufregung bekam ich auch noch nervöse Zuckungen.

Die netten Mitarbeiter an der Information warteten aber gewissenhaft ab und rätselten mit mir, wie der Film nochmal heißt…ihr wisst schon…der mit dem Physiker hier…na der im Rollstuhl. Der mit der Unendlichkeit und so…neeein nicht die Unendliche Geschichte! Jaaa – Die Entdeckung der Unendlichkeit‼

Blu-Ray oder DVD? Öööhm…“Wwwwie siehts – – – ddenn da pppreislich aus?“

Mein Regal ziert jetzt eine Blu-Ray mehr. Bei 9,99€ für nen Oscar-Prämierten Film – da sag ich doch nicht NNNNein‼!

 

Sooooo nun habt ihr „unsere Gedanken lesen können“ und wisst, wie es uns beim dritten und letzten Teil des Invivo-Trainings erging.

Im Fazit über alle drei Phasen sind wir uns einig: ES HAT SICH GELOHNT!

Mit großer Zuversicht und vollen Mutes können wir uns nun in das wahre Abenteuer des Praxis-Alltags mit unseren baldigen Stotter-Patienten stürzen und der Welt zeigen, wie Invivo-Training wirklich funktioniert!

Es grüßen euch,

AR, SB und AK

6 thoughts on “„Haallo. I – – ick wwwollte mal nnnach einem FiFiFiFilm ffffragen.“ – Pseudostottern auf Berlinerisch!”

  1. Die Umfrage, sehr angenehmes Thema. Ich erinnere mich da an meinen letzten Job, müde Hamburger von morgens um 4 bis morgens um 2 nach ihrem Arbeitsweg in den öffentlichen Verkehrsmitteln nach ihrem Weg zu fragen. Hat mir einiges an Abhärtung gebracht, die ich trotzdem in den Mutproben als In-vivo-Blogger vermisst habe. Passendes Namensschild un Eintipp-Gerät haben mir da einen Hauch Professionalität verliehen, ohne habe ich mich kaum getraut – also Respekt an euch, da ihr euch ohne Verkleidung hinausgewagt habt.
    Und AK, die Blockierungen haben es doch in sich, muss zugeben, dass ich mich davor gedrückt habe. Also bemerkenswert, dass du dich getraut hast!

  2. Hach.. die Berliner Combo wieder, coole Aktionen habt ihr euch da überlegt! War ganz erstaunt, dass der Fernsehturm wirklich 360m misst.. schlauer ist man eben doch immer wieder erst nach dem Blog!;)
    @AR: Was für’n Kopfkino: äußerst amüsiert stellte ich mir vor, dass du im Elektrofachhandel evtl den glorreichen „Kraftfahrer“-Jargon deines Papis nachahmend gestottert hast. ;D

  3. Respekt an euch, dass ihr bei diese Aufgaben alle stotternderweise bearbeitet habt. Aus meiner Sicht bergen schon ein paar davon auch ohne Stottern ein wenig Überwindungspotential (bin aber auch nicht so der Telefonmensch ;)).
    Und ich stimme AZ zu: diese Angst vorm Stottern (die wir wahrscheinlich alle durchlebt haben) und die Gedanken die einem so kurz vor dem „Auftritt“ durch den Kopf wandern habt ihr sehr treffend beschrieben! 🙂

  4. Danke für diesen sehr schönen Beitrag. Man konnte Ihre Entwicklung im Verlauf der Übungen sehr gut nachvollziehen. Super finde ich, dass Sie die einzelnen Übung mehrmals wiederholt haben und damit Sicherheit gewonnen haben.

  5. Es war wirklich sehr spannend euren Eintrag zu lesen. Ich empfand es als besonders eindrücklich, dass alle Bammel davor hatten zu stottern. Da fragt man sich doch, ob sich wohl ein tatsächlicher Stotterer genauso unwohl fühlt?! Das wird uns wohl die Praxis zeigen.
    Dass ihr dann letztendlich doch euer bedrückendes Gefühl überwinden konntet, zeigt einem doch, dass Übung den Meister macht!

  6. Es hat Spaß gemacht, euren Beitrag zu lesen! 🙂
    Und es ist doch ein bisschen überraschend, dass alle so geduldig und höflich reagiert haben. Auch wir haben diese Erfahrung gemacht und vorher nicht damit gerechnet. Die Übungen haben ihren Zweck also voll erfüllt 🙂

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