„Sind Sie Schausteller oder so was?“

Nach dem erfolgreichen Absolvieren der Aufgaben von Stufe 1 folgte nun unsere persönliche Stufe des Grauens: Mut- & Auffälligkeitsübungen. Die Überwindungsschwelle war hierbei schon bedeutend höher und auch die Reaktionen waren sehr gemischt. Neben unerwarteten, sehr positiven Reaktionen gab es auch einige sehr entmutigende Momente. Es fiel uns bei der Durchführung dieser Aufgaben ganz besonders auf wie viel allein die Körpersprache, Blicke und Mimik der Menschen über deren Meinung verraten. Wir möchten nun von einigen Übungen näher erzählen, die uns besonders eindrucksvoll erschienen und anschließend ein generelles Fazit ziehen.

1. In „fescher“ Kostümierung durch die Potsdamer Innenstadt flanieren.

Gesagt, getan. Mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln „warfen“ wir uns – so gut es ging – „in Schale“ und zogen los. LS trug – wir hatten ja alle mal solche Phasen – ein Gothic-Kleid, Netzstrumpfhose und Creepers und xx konnte aus ihrer Kostümkiste eine übergroße Rokkoko-Perücke mitsamt entsprechend großem Hut zaubern.
Unser „Spaziergang“ über die Brandenburger Straße glich eher einem Walk of Shame – übertrieben gesagt. Allerdings muss dazu gesagt werde, dass wir diese Übung um die Mittagszeit an einem Wochentag in Potsdam durchgeführt haben. Es ist vermutlich bekannt, dass in der Brandenburger Straße da gerade ein „Renter Overload“ herrscht. 😛 Erstaunte und unverständliche Blicke waren also zu erwarten. Man konnte das „Früher hätte es sowas nicht gegeben!“ förmlich in ihren Augen lesen.
Weiterhin fiel uns auf, dass viele erst kurz interessiert zu uns sahen um dann ganz bestimmt und angestrengt in eine andere Richtung zu blicken. Fast, als wäre es etwas schlechtes, Interesse am Ungewöhnlichen zu zeigen. Der Aspekt der Ästhetik sei an dieser Stelle außen vor gelassen..
Insgesamt müssen wir sagen, dass wir es schade fanden, wie die Reaktionen ausfielen. Auf unserem Rückweg jedoch trafen wir eine sehr nette Dame, die sich auch bereit erklärte, ein Foto von uns zu machen. Sie sagte uns, dass sie uns gesehen und gedacht habe, dass das cool aussehen würde was wir da trügen und frug, ob wir Schausteller oder sowas seien.

2. Zehn Passanten in der Fußgängerzone einen Glückscent schenken und einen schönen Tag wünschen.

Diese Übung fiel uns erstaunlich leicht. Meist wirkten die Leute etwas aufgeschreckt und wussten nicht, wie ihnen geschah. Viele wirkten als befürchteten sie, dass wir Ihnen etwas andrehen würden. Erst auf unsere Versicherung „einfach so, ohne Hintergedanken!“ wurde das Geschenk  mal zögernd, mal freudig angenommen. Auch hier galt: jüngere Passanten waren offener, ältere zurückhaltender oder gar abweisender. Das folgende Bild dient der Veranschaulichung vieler Reaktionen:
Generell war zu beobachten, dass das geschäftige Treiben auf der Brandenburger nur ungern unterbrochen wird. Teils wirkten die Passanten sogar genervt, wenn man sie freundlich ansprach. Dabei verschenken wir doch Glück, und stehlen keine Zeit! 🙂

3. Leute vor einer Eisdiele ansprechen ob sie einem ein Eis ausgeben wollen

Diese Aufgabe klingt vielleicht lustig – ist es aber nicht. Wir standen eine ganze Weile vor der Eisdiele herum und haben uns immer schäbiger dabei gefühlt, Passanten nach potentiellen Spendern „auszuchecken“. Da immer noch Rentner Overload vorherrschte kamen wir uns tatsächlich schäbig vor, jemanden um ein Eis anzuhauen. Wir standen so lange unschlüssig und verzweifelt herum, dass uns sogar ein Kellner im Vorbeigehen schon mit einem „Buh!“ erschreckte und uns unsere Verzweiflung noch deutlicher bewusst werden ließ. Infolgedessen beschlossen wir die Übung abzubrechen. Wir sind nicht stolz darauf, da wir uns vorgenommen hatten alle Aufgaben zu erfüllen. Jedoch bemerkten wir erst in diesem Moment dass wir beide an die Grenzen dessen, was uns unser Anstand und unsere Moral gebieten, gestoßen sind. Der ein oder andere wird sicher verstehen, dass man eine ältere Dame, die gebrechlich und langsam an einem vorbei geht und selbst nicht allzu wohlhabend aussieht, nicht noch um ein Eis bittet. Das macht man einfach nicht.

Resümierend lässt sich sagen, dass dieser Übungsblock eher durchwachsen war. Uns begegnete viel Misstrauen, Ungläubigkeit und nur selten positive Reaktionen. Auch beim lauten Gedicht aufsagen und dem Handpuppenspiel blieb es bei dem oben beschriebenen bewussten, unangenehm berührten Weggucken. Wir finden es eigentlich schade, dass man sich vor den kleinen Freuden, die das Leben bereit halten kann, wenn man sich seiner Umgebung öffnet und Neues zulässt, verschließt.
Trotzdem war es für uns eine interessante Erfahrung, da diese Übungen ein „an die eigenen Grenzen gehen“ beinhaltete, dass neue und prägende Erfahrungen mit sich brachte.

 

Eure xx & LS aka Marie-Antoinette & Gothic Girl 😀

One thought on “„Sind Sie Schausteller oder so was?“”

  1. Danke für Ihre ehrlichen Worte. Sie haben Ihre eigenen Grenzen kennengelernt und ich finde es toll, dass Sie alles ausprobiert haben. Die Reaktionen der Mitmenschen kann man leider nicht beeinflussen, aber doch wie sehr man diese an sich ranlässt und welche Haltung mal selbst in dieser manchmal etwas zu ernsten Welt einnimmt. Sie scheinen hier genau die richtige Haltung einzunehmen!

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