…und am Ende bekommt man trotzdem seinen Shake

Im strahlenden Sonnenschein machten wir uns in der Potsdamer Innenstadt auf die Socken, denn jetzt wurde es ernst: Teil C der Aufgabenstellung sollte erfüllt werden. Wir würden zum ersten Mal in-vivo-Stottern. Nachdem wir uns im letzten Semester noch hinter geschlossenen Türen gegenseitig angestottert hatten ging es nun raus in die „böse Welt“. Es sollte sich zeigen ob die bisher gemachten Erfahrungen sich hier wiederholen oder wir überrascht werden würden.

Da sich die Reaktionen in allen Teilaufgaben ähnelten werden wir unsere Gedanken nun zusammenfassen und unseren Gesamteindruck niederschreiben.

Das eigentliche Problem bestand weniger in der Schwierigkeit des Stotterns noch der Aufgabe selbst sondern mit der Angst vor dem Eindruck, den die Anderen bekommen könnten. Wir konnten uns also recht schnell annähernd vorstellen, wie man sich als Stotternder fühlen muss und welche Fragen einem dabei durch den Kopf gehen: „Was denkt der dann von mir?“ „Rede ich zu langsam?“ „ Versteht er mich?“ „Findet er mich seltsam?“ Häufig stellte sich später heraus, dass diese Sorgen völlig unberechtigt waren. Abgesehen von einem häufig kurz irritierten Blick waren alle Reaktionen freundlich, hilfsbereit und „ganz normal“. Bei Aufgaben wie „sich im Geschäft beraten lassen“ oder beim gestotterten Eiskauf waren die freundlichen Reaktionen vermutlich auch der Professionalität der Verkäuferinnen geschuldet. Nach einer kurzen Verwunderung wurde jedoch freundlich und kompetent geantwortet.

Allerdings zeigten sich auch „normale“ Passanten als hilfsbereit und freundlich, wenn man sie dem Weg fragte. Es versuchte niemand, mit uns zu reden, als wären wir mental zurückgeblieben, sondern sprach ganz normal.

Wir vermuten, dass sich die Ängste, die wir verspürten auch in tatsächlich Stotternden wieder finden und dass häufig einfach der Wunsch besteht, weder übertrieben freundlich, noch abweisend  sondern einfach ganz normal behandelt zu werden.

Im Zuge der Selbstreflexion lassen sich zwei Dinge nun besser nachvollziehen.

  1. Den Sinn von in-vivo-Stottern bzw. Training.
  2. Die Nachvollziehbarkeit von Begleitsymptomatiken. Wir selbst konnten schon nach kurzem Stottern bemerken wie wir Blickkontakt im Gespräch vermieden, mehr Gesten ins Gespräch einbauten und das teilweise unbewusst. Zum Teil mögen diese Verhaltensweisen darin begründet sein, dass man sich selbst vor einer gefürchteten negativen Reaktion des Gegenübers bewusst schützen will (z.B. durch Weggucken). Besonders schwerwiegend war dieses Verhalten bei Blocks, denn hier erschien uns die Zeit, die während des Symptoms verstrich, unendlich lang.
    Das Gefühl, andere müssten im Gespräch „auf einen warten“, ließ sich in den entsprechenden Momenten nur schwer aushalten, besonders wenn man generell Wert auf Pünktlichkeit legt.
    Besonders in solchen Momenten ist das Entstehen einer Sprechangst gut nachvollziehbar.

Schlussendlich können wir aber abschließend sagen, dass all die Befürchtungen und Gedanken, die wir hatten, lediglich in unseren Köpfen waren und die Gespräche meist total harmlos verliefen.

Nichtsdestotrotz besteht vermutlich genau darin der Sinn dieser Übung. Positive Erlebnisse bestärken (der Weg wurde trotzdem beschrieben, der bestellte Milchshake trotzdem gebracht), die Zweifel davor jedoch verunsichern.

Wir finden, dass wir unsere, an uns selbst gestellten Aufgaben, gut bewältigt haben und sie uns auf jeden Fall helfen werden im späteren Praktikum / Arbeitsalltag mit Stotterern umzugehen und ein besseres Einfühlungsvermögen und Gespür für deren Symptomatiken in die Therapie einfließen lassen zu können.

Mit besten G-g-g-grüßen,

xx & LS

3 thoughts on “…und am Ende bekommt man trotzdem seinen Shake”

  1. Eine sehr schöne Beschreibung Ihrer Erfahrungen. Toll, dass das Pseudostottern an sich kein Problem für Sie dargestellt hat, sondern eher die aufkommenden Gefühle und Gedanken, denen Sie sich ja wunderbar gestellt haben.

  2. Oh ja, ich konnte mich bei eurem Problem der Begleitproblematik sehr gut wiederfinden…

    „Der beißt nicht, der will nur spielen“ fällt mir da spontan ein auf eure Befürchtungen und Gedanken 😉 alles halb so wild.

    Prost!

  3. Eine schöne Zusammenfassung Eurer Erfahrungen und wirklich interessant, wie ihr das mit der Begleitsymptomatik beobachtet und erlebt habt. Es ist schön zu hören, dass auch Ihr gute Erfahrungen mit den Probanden gemacht habt.
    Ich hoffe der Milchshake war ein Genuss, nachdem die Vorfreude darauf durch das Stottern verlängert wurde!

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