Hallo zusammen,
aufgeregt berichten wir über unsere Erfahrungen mit dem ersten Teil des Projekts „Erweiterung der kommunikativen Kompetenzen“. Dieser Herausforderung stellten wir uns an einem Mittwochvormittag zusammen gegenüber. Da wir davor schon überlegt haben, was wir machen, blieb uns nur noch, einen passenden Ort dafür zu finden. Die Überlegung war kurz – wir haben uns am Berliner Hauptbahnhof getroffen. AS: „Als ich dann dahin ging, dachte ich nur daran, das ganze einfach schnell hinter mich zu bringen. Eine von den Tätigkeiten, die ich gar nicht machen will.“ Nun waren wir alle da und dann… Ja, so einfach war es nicht das schnell hinter sich zu bringen, einfacher gesagt, als getan. Wie bei allen Dingen gilt: Je mehr du darüber nachdenkst, was du machst, desto angespannter wirst du und desto befangener fühlst du dich. Die Meisten von uns haben sich dabei überhaupt nicht wohl gefühlt. Ja, wir haben viel gelacht und die Stimmung war gut, aber Wohlfühlen war es nicht. Nichtsdestotrotz ist es uns gelungen, bei einigen Aufgaben das Ziel zu erreichen. Hier nochmal die Aufgaben, die wir gemacht haben.
- Blickkontakt mit einer unbekannten Person aufnehmen, lächeln und nicken / winken.
- In den Baumarkt oder ins Reisebüro gehen und sich ausgiebig beraten lassen.
- Bahnfahrenden fragen wohin die Reise geht. Das Gespräch dabei möglichst mit weiteren Fragen etwas aufrecht erhalten.
- Einer fremden Person auf der Straße ein Kompliment machen.
- Eine fremde Person nach Ihrem Tages- / Abendprogramm fragen, da man noch nicht weiß, was man unternehmen möchte.
Nun wollt ihr natürlich wissen, wie wir uns bei den einzelnen Aufgaben angestellt haben und welche Erfahrungen wir dabei gesammelt haben.
Blickkontakt mit einer unbekannten Person aufnehmen, lächeln und nicken / winken.
Das kriegen wir schnell hin, dachten wir. Aber eine Sache haben wir an dem Tag bemerkt, Menschen gucken einander nicht in die Augen! Man strömt einfach vorbei. IN: „Ich versuchte es, ich versuchte die Blicke von den Menschen zu fangen, ich wollte sie zumindest bemerken.“ Wie könnten wir Blickkontakt aufnehmen, wenn uns niemand angucken wollte. Entweder hatten Passanten es eilig oder sie telefonierten oder sie waren beim Lesen oder Facebook checken. AH: „Das kenne ich auch, wie man im Gehen mit herabhängendem Kopf aufs Display blickt und noch schnell seine E-Mails abrufen will.“ Oder haben wir einfach den falschen Ort für diese Aufgabe ausgesucht? Gäbe es nicht so viel Hektik und Hast, hätten wir mehr Blicke genießen dürfen. So IN: „[…] die erste Aufgabe war verdammt schwer, Menschen anzulächeln und zu zuwinken, weil man sobald man sie anlächelt, sie sofort den Blick vermeiden und woanders hin schauen!“. Und AH: „Menschen in die Augen zu schauen und sie dann womöglich noch anzulächeln ist schwerer, als es scheint. Tatsächlich habe ich es in Berlin relativ häufig erlebt, dass mir von Fremden, denen ich in Momenten von „heiterer Abwesenheit“ zugelächelt habe, großer Argwohn entgegen schlug. Ich bin also ein von der Großstadt „gebranntes Kind“ und fühle mich außerordentlich unwohl in all den noch kommenden oder bereits erledigten Aufgaben. Die aktuellen Reaktionen waren alle durchweg sehr entspannt und positiv. Es war gar nicht sehr schwierig, nur eine große Überwindung. Und wenn auch einige verdutzt waren, so war zumindest niemand aggressiv oder ungehalten. Deshalb fühle ich mich positiv bestärkt und dennoch voller Sorge, welcher Wahnsinn noch alles so zutage treten kann.“ Am Ende dieser Aufgabe waren wir uns in unseren Gefühlen einig. Schließlich aber sind wir stolz, dass wir das, was wir uns vorgenommen hatten, geschafft haben. Auch wenn es in meinem Fall dann doch ein bisschen anders aussah, als es eigentlich sein sollte.
In den Baumarkt oder ins Reisebüro gehen und sich ausgiebig beraten lassen.
Eine von den Aufgaben, die uns allen leicht fiel. Und das ist auch gut so. Wir waren uns einig, dass sich beraten zu lassen eigentlich etwas ganz selbstverständliches ist. Vor allem, wenn die Beratung eine Person macht, die das jeden Tag tut. Sie sitzt und wartet sehnsüchtig, dass jemand endlich kommt und sie die Möglichkeit hat, ihre Beratertalente voll anzuwenden. So waren wir in diversen Einrichtungen (von Kundenzentrum bis Blumenstand) und haben uns fleißig beraten lassen. Lange Rede, kurzer Sinn: die Aufgabe ist uns gut gelungen und man musste sich nicht viel überwinden bzw. gar nicht überwinden.
Bahnfahrende fragen wohin die Reise geht. Das Gespräch dabei möglichst mit weiteren Fragen etwas aufrecht erhalten.
Je weiter in der Arbeit, desto größer die Mühe. Wieder dieser Gedanke dabei, die Menschen werden mich auslachen. Ich sah mich selbst blöd dabei. Den anderen ging es auch nicht viel anders. Einen derartigen Kontakt aufzunehmen, ist schwer. Jetzt im Nachhinein auch schwer. Die Aufgabe würde ich meinerseits so fifty fifty einstufen. Ich habe 10 Menschen nach ihrem Ziel gefragt, wollte aber keine weiteren Fragen stellen. Interessant war dabei immer die Reaktion der Befragten.
IN: „ […] sie waren erstmal skeptisch, das ist doch klar, aber wenn sie nur gefragt wurden, wohin die Reise geht, ohne es einzuleiten, dass das ein Uniprojekt ist, haben sie sich gewundert und gefragt, warum wir sie überhaupt fragen, was uns das angeht und wenn wir es eingeleitet haben, dann waren sie erleichtert und haben auf die Fragen zögerlich geantwortet.“
JA: „ Das Gespräch einzuleiten empfand ich als nicht schwierig, jedoch dieses aufrecht zu erhalten. Es gelang mir gut und ohne Probleme, solang mein Gesprächspartner Geduld und Zeit ausstrahlte. Schwierig war es für mich weitere Fragen zu stellen, wenn die Person Ungeduld oder Genervtsein ausstrahlte. Dann habe ich mich gefühlt, als wolle ich mich aufdrängen und es begann mir albern vorzukommen oder peinlich zu werden. Unangenehm empfand ich auch, wenn sich viele Menschen im Abteil befanden, die zuhören könnten. Dann habe ich mich gefragt, was sie wohl gerade über mich gedacht hatten.“
Dann irgendwann haben wir einen hippie-aussehenden jungen Mann bemerkt, der einen riesen Rucksack und einen Trommel bei sich hatte. Wir dachten sofort, er ist bestimmt ganz cool und wird jeden Kontakt aufnehmen, besonders wenn er von so hübschen jungen Mädels initiiert wird. So ein Irrtum! Der Mann wollte uns nicht direkt anschauen und sagte nur, er habe jetzt keine Zeit. Er war ziemlich verunsichert. Beim nächsten Mal würden wir auf jeden Fall unser Ziel herabsetzen und von Anfang an unsere Fragen einleiten.
Einer fremden Person auf der Straße ein Kompliment machen.
Uuuuh, das war schwerer als gedacht, dabei sind wir uns wieder einig. Ich wollte etwas Schönes finden, etwas das mich beeindruckt. Ich sah nichts! Aber wirklich! Alle sahen irgendwie gleich aus… nichts Sonderliches. Letztendlich hatte JA eine Idee, dass wir zu den Verkäufern gehen sollten und ihre Waren loben. Gesagt- getan. Die Reaktion war so schön, sie war berührend. Die Gelobten wussten gar nicht wie sie reagieren sollen, ist es jetzt ein Witz, gibt’s hier einen Haken, will sie was von mir. Zuerst standen sie mit aufgerissenen Augen und sahen verlegen aus. Ein Augenblick später konnte keiner das Lächeln mehr unterdrücken. Sie waren sehr geschmeichelt. Das war der beste Moment von dem ganzen Tag. Das hat mir dann wieder Mut gegeben. Wir haben etwas Schönes in ihren Routinetag gebracht. Leider konnten wir das nicht dokumentieren, aber, ihr könnt uns glauben, es war schön. Obwohl wir die Aufgabe nicht einzeln, sondern alle zusammen gemacht haben, sehen wir sie als gut gelungen an.
Eine fremde Person nach Ihrem Tages- / Abendprogramm fragen, da man noch nicht weiß, was man unternehmen möchte.
Und zu guter Letzt stand nur noch das Fragen nach dem Abendprogramm auf der To-Do-Liste. Um das zu erfahren, haben wir beschlossen vom Bahnhof weg zu gehen und die Fragen eher in einer ruhigen Umgebung zu stellen. In einem Park erwarteten wir geduldig unsere Passanten. Unser Ziel waren Menschen, die eher jung sind, alleine unterwegs waren und am Besten weiblich. Wir waren wie Löwen auf der Jagd. Wie bei den Fragen nach dem Reiseziel, haben wir in dieser Aufgabe gleich die Frage eingeleitet. Die Menschen haben erstaunlich freundlich reagiert und fragten wofür wir das brauchen. Trotzdem wollten Menschen nicht viel über sich erzählen und die typische Antwort war: „Ah ich weiß noch nicht!“ bzw. „Nichts!“. AH: „Mir hat besonders die Auswahl von Menschen viel Spaß gemacht und mehr oder weniger konnte ich meine Ängste überwinden.“
Das Fazit, das wir daraus ziehen, ist, dass es uns nicht perfekt, aber bestimmt sehr gut gelungen ist, unser Ziel zu erreichen. AS: „Dabei war mir klar, wie hilfreich für mich die Unterstützung meiner Partner war. Das Wichtigste, glaube ich, ist die Erfahrung, die wir gemacht haben und die Freude, die wir den Menschen gegeben haben, was auch immer sie dabei gedacht haben.“
Wir sind gespannt auf eure Erlebnisse!
Schöner, anschaulicher Beitrag! …Und hätte ich auf dem Boot gesessen, hätte ich dein Winken erwidert! 😉
Schön, wie ihr euren Beitrag wie ein Interview mit eigenen Zitaten gestaltet habt! Damit kann man sich sehr gut hineinversetzen, wie ihr die Invivo-Übung erlebt habt und wie ihr euch gefühlt habt.
Uns erging es beim Blickkontakt suchen ganz ähnlich: Die Leute schauten entweder starr geradeaus oder aufs Handy und wenn man sie dann begrüßte, sahen sie einen sehr verwundert an – wenn sie sich überhaupt angesprochen fühlen. Aber das ist ja verständlich 🙂
Auf jeden Fall kann ich eure Schilderungen sehr gut nachvollziehen, insbesondere die Dankbarkeit dafür, Partner dabei zu haben und die sich aufstauende Anspannung, wenn man die Konfrontation immer weiter hinauszögert, decken sich gut mit meinen Erfahrungen. Tief durchatmen und los! 😉
Ein wunderbarer Beitrag und toll Ihre ehrlichen Worte wie schwer es Ihnen gefallen ist. Super, dass Sie es trotzdem gewagt haben.